Zum Geleit
Als ich vor nun neun Jahren meinem Vater nichts zu dessen Geburtstag zu schenken wusste, viel mir auf, dass er alle Artikel über die Englischen Widder aus Zeitungen behalten hatte. Sicherlich hatte er nicht damit gerechnet, dass ich mich als damals 13 Jähriger Schuljunge wirklich ernsthaft darum kümmern würde, ihm diese Schönheiten zu besorgen. Um so überraschter war er dann, als wir wirklich eine gedeckte Häsin abholen konnten. So war der Grundstein gelegt für eine Verbindung, für die er mir heute noch bei der Betrachtung unsere Jungtiere sehr dankbar ist.
Die Engländer haben sich im Laufe der letzten Jahre so tief in unser Herz gekuschelt, dass wir ohne sie nicht mehr sein wollen und überall von ihnen erzählen müssen. Ich wurde daher gebeten auch an dieser Stelle von einer Begeisterung für ein Kaninchen zu berichten, das einen kaum mehr loslässt, sobald man sich richtig auf es eingelassen hat...
Viel Spaß bei der Lektüre!
Immer wieder wenn es um Altes geht, das in Vergessenheit zu geraten scheint, bedroht ist und sich aber entgegen aller Prophezeiungen nicht von der sprichwörtlichen Bildfläche verabschiedet, kann man den berühmten Satz vernehmen: „Todgesagte leben länger!“
Dieser Ausspruch macht auch vor den Englischen Widdern nicht halt. In den letzten Jahren konnten viele neue Züchter sowohl in Deutschland als auch im angrenzenden Ausland gewonnen werden. Diese nahmen entweder diese Traditionsrasse zusätzlich in Ihren Stall auf oder haben gar dank ihnen mit der Rassekaninchenzucht überhaupt erst begonnen. Überaus glücklich für die Rasse kann dabei festgestellt werden, dass grade hier in Deutschland für den Englischen Widder in den letzten Jahren vermehrt jüngere Züchter gewonnen werden konnten. Welche Rasse mit ähnlich kritischer Verbreitung wünscht sich nicht drei neue Züchter unter 30 und mehrere zwischen Mitte Dreißig und Fünfzig wie beim Englischen Widder? Es kann daher dem Englischen Widder bescheinigt werden, sich erstens in den letzten Jahren entgegen dem allgemein vermuteten, von einigen vielleicht auch gewünschten, Trend zu verbreiten. Und zweitens dies zum Glück bei Liebhabern, die noch einige Zeit an der Zucht festhalten können. Persönlich bin ich davon überzeugt, dass viele von ihnen auch an ihren Engländern festhalten werden. Aus Sicht der Rasse ist dabei ebenfalls erwähnenswert, dass sich die Neuen in ihrer Zuchtarbeit nicht nur mit den noch am häufigsten zu findenden bei uns thüringerfarbig genannten Madagaskarfarbigen beschäftigen, sondern auch schwarze, gelbe und gecheckte Englische Widder neue Zuchtstätten finden konnten. Darüber hinaus sind auch Blaue und Graue bei neuen Züchtern gesucht. Farben also, die in manchen Jahren in beängstigend kleinen Zahlen nachgezüchtet werden, wenn man die Umfragen auf den Treffen der seit den 1980er Jahren bestehenden Internationalen Interessengemeinschaft als Grundlage heranzieht. Wobei hierbei berücksichtigt werden muss, dass sich bei dieser Umfrage auch schnell bemerkbar macht, wenn ein Züchter fehlt, der vermehrt eine Farbe nachzieht, die woanders nur nebenher läuft oder gar nur per Zufall anfällt. Für genauere Daten müssten die Daten aller Mitglieder einbezogen werden und nicht nur die der Anwesenden. Auch dass die Mehrzahl der Teilnehmer dieser Treffen zumeist aus Deutschland kommt, wo einige Farben derzeit komplett fehlen, macht sich dann schnell bemerkbar.
Eine Voraussetzung für die Beibehaltung der begonnenen Zucht solcher Neuanfänger ist das Miteinander der Züchter inklusive der Unterstützung in sämtlicher Hinsicht, sei es durch Ratschläge und das Beantworten von Fragen, oder die Abgabe von Zuchttieren.
Letzteres ist leider nicht immer sehr leicht ist, obwohl die Züchter durch die Interessengemeinschaft national wie international sehr gut verbunden sind. In schwierigen Fällen der Zuchttierbeschaffung spiegelt sich dann und wann leider doch die geringe Verbreitung wider und sorgt somit manchmal für lange Wartezeiten bei Interessenten. Der wahre Liebhaber aber wartet auch fast ein Jahr, um seine Engländer in der Lieblingsfarbe zu bekommen. Umso größer ist dann natürlich die Freude auf beiden Seiten, wenn dann die Tiere endlich in Empfang genommen und abgegeben werden können und sich somit wieder ein kleiner neuer Knoten auftut im internationalen Netz der europäischen Englisch Widder Zucht.
Was aber macht den Englischen Widder in unserer Zeit so attraktiv?
Der Englische Widder ist eine der ältesten Kaninchenrassen, die wir überhaupt kennen und glücklicherweise in vielem noch unverfälscht vorfinden, wenn auch die Standardumstellung vor einigen Jahren hier bei uns in Deutschland sich auf das Exterieur ausgewirkt hat. Angesichts dessen stellt sich doch die Frage, welche Eigenschaften grade diese ausgefallene Erscheinung der bunten Welt der Rassekaninchen so attraktiv macht. Das kann sicherlich keiner der Liebhaber auf ein Argument reduzieren und so sind wie so oft mehrere Faktoren zu nennen, die alle zusammen die Faszination für diese extravagante Rasse ausmachen.
Sicherlich ist ihr ausgefallenes Äußeres ein Grund, wenn nicht gar DER Grund, dafür, dass sich Betrachter den Englischen Widdern zu wenden. Sie fallen einfach auf und egal wie sie auch zu dieser Rasse stehen, streben die Schaubesucher zu den Käfigen der Engländer, um sie sich anzuschauen. Man bekommt sie schließlich nicht überall zu Gesicht.
Und damit wäre ich auch schon beim zweiten Beweggrund, warum sich grade jüngere Züchter mit Ihnen beschäftigen: Sie sind selten und haben drittens darüber hinaus eine lange Zuchttradition. Eine Erscheinung der letzten zwanzig Jahre in der privaten Tierhaltung und –zucht ist, dass sich Züchter und Halter für Rassen entscheiden, die sehr alt sind und zumeist aus den unterschiedlichsten Gründen am Rande des Aussterben stehen, weil sie beispielsweise von anderen Rassen aus dem Fokus des allgemeinen Interesses verdrängt worden sind. In der Landwirtschaft finden sich viele Beispiele für Rassen, die nur noch aufgrund privater Initiativen überleben konnten, weil sie sonst von den Hochleistungsrassen verdrängt worden wären und mit Ihnen wertvolle Eigenschaften, die sich zumeist als Anpassungen an die regionalen Bedingungen, unter denen die Tiere gehalten wurden, entwickelt haben und auf die man mit Zunahme der Probleme in den Hochleistungspopulationen wieder verstärkt aufmerksam wird. Nicht umsonst fallen die Gründungsdaten der Deutschen Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen e.V., der Niederländischen Stichting Zeldzame Huisdierrassen und der Schweizerischen Stiftung Pro Specie Rara in diese Zeit, als man auf das Problem der genetischen Verarmung durch Rassesterben aufmerksam wurde und anfing privat zu handeln.
Diese angesprochene junge Züchtergeneration will oftmals nicht nur Gutes vermehren, sondern aktiv an der Erhaltung der Rassenvielfalt und vor allem der Erhaltung alter Rassen mitwirken. Die Zucht soll Sinn haben und nicht der Befriedigung des eigenen Geltungsstrebens dienen. Somit ist weniger das Erringen großer Preise oder die Produktion wirtschaftlicher Schlachtkörper die zur Haltung ausschlaggebende Motivation, sondern vielmehr die Beschäftigung mit den Tieren selbst, auch in kleinen Beständen, sowie die Arbeit an der großen Aufgabe „Rassenerhaltung“ und „Rassenverbreitung“ das, was die neuen Züchter zur Anschaffung einer alten Rasse wie unseren Englischen Widdern bewegt. Die Ausstellungen werden so wieder zu dem, als was sie eigentlich mal gedacht waren, nämlich zum Ort der Kontrolle der züchterischen Arbeit, eine Gelegenheit ein Feed-Back zu bekommen, sowohl vom Preisrichter in Form der Kritik auf der Bewertungskarte als auch bei der Diskussion mit Gleichgesinnten.
Denn allein mit der Zucht ausschließlich für Ausstellungen kann man heute kaum neue Züchter gewinnen. Zu oberflächlich wirkt es auf Außenstehende, wenn man unser Hobby in der Öffentlichkeit nur auf diesen Aspekt beschränkt, als dass man so noch irgendwen für diese Form privater Tierzucht begeistern könnte. Zu viele Fälle von Übertreibungen bei den unterschiedlichsten Spezies in den letzten Jahrzehnten haben hier in der Öffentlichkeit ein negatives Bild hinterlassen. Mit dem vorläufigen Höhepunkt der Qual- bzw. Extremzuchtdebatte, die jedoch einerseits richtig war, bevor der sprichwörtliche Karren vor lauter Stallblindheit gegen die Wand gefahren wäre, andererseits jedoch viel zu einseitig geführt worden ist, auch im Falle der Englischen Widder. Und damit zurück zur Kaninchenzucht und den neuen Züchtern dieser Gentlemen.
Um neue Mitglieder zu gewinnen ist vielmehr auf Individualität zu setzen, die der Englische Widder in perfekter Weise unterstreicht. Lange Käfigreihen mit Weißen Neuseeländern, Blauen Wienern u.a. zeugen zwar von einer enormen Verbreitung wirken aber auf Interessenten doch eher einschüchternd. Da kommen dann die kleinen Kollektionen der Englischen Widder wirksamer daher. Noch dazu, wenn die vielen vorhandenen Farben für ein buntes Bild sorgen, denn in der Regel werden selten einmal mehr als drei vier Zuchtgruppen einer Farbe, selbst auf großen Schauen, ausgestellt.
Viele der neuen Englischen Widder Züchter sind auch über die ehrgeizige Phase des „Preise-gewinnen-wollens“ hinaus und suchen nun in dieser alten Rasse ein Betätigungsfeld, sich als wirklicher Züchter zu beweisen und etwas zu bewegen und nicht mehr nur zu justieren, wie man manchmal den Anschein bei weit verbreiteten Rassen bekommen kann.
Unverbrauchtheit ist eine Stärke der Englischen Widder!
Der Englische Widder aber hat im Vergleich zu einigen gleichgroßen („Wirtschafts“-) Rassen auch noch einen weiteren Vorteil, der sie grade für Halter kleiner Bestände überaus attraktiv macht: er ist in seiner Reproduktion überaus unverbraucht. Damit meine ich, dass er sehr selten kleine Würfe unter sechs Jungtieren hervorbringt. Eine Tatsache, die um so erstaunlicher ist, wenn man die geringe Verbreitung und damit eben auch die sehr kleine Zuchtpopulation im Blick behält. Probleme in der Aufzucht oder tote Jungtiere kennt man beim Englischen Widder so gut wie nicht. Somit kann man relativ mühelos mit nur 1,2 oder 1,3 Tieren einer Farbe züchten und durch mehrmaliges Werfenlassen genug Jungtiere zur Auslese aufziehen. Durch strenge Selektion wird dann anschließend der Zuchtumfang gewahrt, ohne dass es ausufert.
Die Mütter verhalten sich vorbildlich. Sicherlich sind auch hier einige wenige Ausnahmen die Bestätigung der Regel, jedoch gibt es in den meisten Fällen auch dafür biologische Argumente, die solche Phänomene begründen. So werfen Häsinnen beispielsweise für gewöhnlich beim ersten Wurf überhaupt und auch beim ersten Wurf im zweiten Zuchtjahr weniger Jungtiere wie in den darauffolgenden Würfen.
Nichtsdestotrotz machen Sie ihre Sache sehr gut, so dass auch in der Regel große Würfe mit acht oder neun Jungtieren problemlos aufgezogen werden. Die Praktik, die von langerfahrenen Züchtern immer wieder empfohlen wird, die Würfe auf vier Tiere zu reduzieren, ist überholt und nicht mehr zeitgemäß! Tiere aus den angesprochenen großen Würfen entwickeln sich ebenso gut wie die aus kleineren. Eine Auswirkung auf die Qualität der Jungtiere ist bei einer solchen Jungtierverringerung nicht nachweisbar! Wenn die Tiere nicht die Genetik für gutes Wachstum aufweisen, werden sie auch mit dieser Methode nicht besser. Hier kann für die Zukunft nur die Selektion auf Frohwüchsigkeit und beste Figuranlagen helfen.
Diese Unverbrauchtheit ist sicherlich ebenfalls mit der Populationsgröße und den sich daraus ergebenden Verhältnissen zu erklären. Nach dem zweiten Weltkrieg musste die Deutsche Englische Widderzucht aus wenigen noch vorhandenen Tieren mühsam mit Hilfe von verwandten Rassen, wie Riesenkaninchen zum Beispiel aber auch Thüringern der Farbe wegen, wieder aufgebaut werden. Und auch danach wurde mehr auf Typ anstatt auf Farbreinheit geachtet. So blieben die wenigen vorhandenen Tiere der einzelnen Zuchten sicherlich genetisch weiter auseinander als es bei Zuchten weit verbreiteter Rassen der Fall war, wo sich zumeist auf Dauer nur die erfolgreichsten Linien durchsetzten. Eben die, die auf den Schauen am erfolgreichsten waren. Wer sich aber bei seinen Engländern verzettelte, konnte ja schließlich nicht an jeder Ecke wieder was Neues kriegen, somit wurde auf Leistungsmerkmale mit geachtet, die bei anderen Rassen hinter die Schauwertigkeit zurück traten. So haben sich die Englischen Widder Häsinnen der wenigen in sich sicherlich ingezüchteten aber untereinander weit entfernten Zuchtlinien nicht ohne Grund ihre feingeformten Wammen erhalten können. Nein, diese Wammen scheinen ein äußeres Zeichen für die oben angesprochenen Fruchtbarkeitsmerkmale zu sein, die einige Züchter von anderen Rassen vor Neid erblassen lassen. Riesenhäsinnen beispielsweise zeigen diese Wammen heute nicht mehr. Dafür waren, wenn man einigen lang erfahrenen Züchtern glauben darf, früher, als die Häsinnen noch Wammen hatten, die Würfe größer. Wurde so ein Leistungsmerkmal einem dann zweifelhaften Schönheitsmerkmal unterworfen bis gar geopfert?
Auch die Lebhaftigkeit der Engländer macht Ihren Züchtern regelmäßig Freude. Ein Englischer Widder, der Freilauf genießen darf, und sei es auch nur für ein paar wenige Minuten täglich, wird es seinem Halter und Züchter auf die herrlichste Art zeigen. Er springt hoch, läuft, hält inne, wobei seine majestätische Haltung erst richtig zur Geltung kommt, um nach einiger Zeit wieder zu seinem Halter zurück zu kommen. Von sich aus! Und damit wäre ich bei einem weiteren Merkmal, dass den Englischen Widder so beliebt macht und dem wahrscheinlich eindringlichsten für jeden, der sich mit der Rasse einige Zeit beschäftigt hat: ihr liebes, menschenfreundliches Wesen, wie es kaum eine andere Rasse zeigt. Ein Kriterium, dass man im Schaukäfig gar nicht so gut bemerken kann und ihn auch als Heimtier geradezu empfiehlt. Zwar lassen sich die ausgestellten Engländer auch gerne und besonders lange streicheln, dass sie aber zu Hause richtig gehend darum bitten gestreichelt zu werden und dafür auch mit dem Fressen warten und ihren Kopf von sich aus unter die ruhig am Stall liegende Hand schieben, sieht man auf Schauen eben nicht. Ebenso wenig, dass sie einem nach längerer Zeit hinterher laufen wie ein kleiner Hund. Die Nähe in der Beziehung zum Pfleger macht sich aber auch darin bemerkbar, dass ein Englischer Widder kaum einmal beißt! Zwar zeigt er durch Knurren und leichtes Zwicken in die Haut an, dass er etwas nicht mag, aber von einem richtigen Zubeißen inklusive Blut und Wunden kann beim Englischen Widder nichts vermeldet werden.
Kaninchen für die Seele
Alles in allem hat es ein russischer Botschaftsmitarbeiter, der bei mir und meinem Vater vor ein paar Jahren Tiere für den Export nach Russland abgeholt hatte, mit diesem Ausspruch auf den Punkt gebracht. „Das sind Kaninchen für die Seele!“, war seine erste Reaktion beim Anblick dieser Seltenheiten und diesem Satz kann und braucht man als Kenner der Rasse auch nichts mehr hinzuzufügen. Der Englische Widder ist eben nicht irgendein Kaninchen sondern eine Rasse, deren Magie weit über die tägliche Beschäftigung und das Ausstellungswesen hinaus geht. Und es ist schön zu wissen und zu sehen, wie diese Magie auch weitere Züchter in ihren Bann zieht, ihre Seelen mit der Begeisterung für diesen Gentleman im Kaninchenstall befallen werden, damit die Rasse auch weiterhin bestehen bleiben wird.
Die Internationale Interessengemeinschaft und den Schweizerischen Klub der Englisch-Widder-Kaninchen-Züchter erreichen Sie im Internet unter: www.englischwidder.ch.vu
Der Autor ist unter Email: pfritz@uni-bonn.de zu erreichen.
Phillip Fritz